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Kinder auf der Flucht








Seit jeher sind die Spielangebote des DOK eine der ersten Anlaufstellen für geflüchtete Kinder und ihre Familien in Bern. Egal woher sie kommen, alle haben Schreckliches erlebt, sind entwurzelt und weit weg von daheim.
Till Schnittfeld erklärt, warum Kindertreffs, betreute Spielplätze und mobile Spielangebote für Kinder auf der Flucht so wichtig sind.
Interview: Thomas Eberhard

Wie reagieren Kinder auf eine durchlebte Flucht aus Krisen- oder Kriegsgebieten?
Kinder erleben auf der Flucht teils Fürchterliches, die Hölle. Das ist in jedem Fall traumatisch. Kinder reagieren sehr unterschiedlich, dennoch zeigen sie oft ein typisches Verhalten: Sie sind enorm anhänglich, sehr schreckhaft, sehr weinerlich, haben aus dem Nichts Wutausbrüche, grosse Trennungsängste. Ihr Spielverhalten ist meist nicht fröhlich, sondern sehr schwer und repetitiv.

Dennoch verarbeiten Kinder Traumata oft recht gut?
Ja, das stimmt. Eine Studie aus Deutschland zeigt, dass fast 80% der geflüchteten Kinder Traumata ohne nachfolgende posttraumatische Belastungsstörungen verarbeiten können.

Was hilft Kindern bei der Verarbeitung von Traumata?
Kinder verarbeiten Traumata sehr unterschiedlich. Ganz zentral sind aber ein sicheres Umfeld, Normalität und dass man Kinder in ihrem Erleben ernst nimmt. Ernst nehmen heisst, dass wir den Kindern zum Beispiel vermitteln, dass es ok ist, Angst zu haben. Weil es ist ja richtig, wenn sie Angst haben, wenn es knallt und sie damit Schlimmes verbinden.
Das Kind muss neu lernen, sich selber wieder etwas zuzutrauen und da gehört dazu, dass es merkt, dass seine Eindrücke richtig sind. Darum gleicht es sich mit seinem Umfeld ab. So entsteht dann Vertrauen in sich selber und ein Kind kann sich der Angst stellen. Es lernt, dass ein Umfeld da ist, das es unterstützt. Und das hilft heilen.

Was heisst das für den Spielplatz, für den Kindertreff?
Ihr macht ja genau das!
Ihr vermittelt dem Kind «Es ist einfach voll in Ordnung, wenn du einfach da bist. Und dich einbringst, wenn du magst. Mir sagst, was du machen möchtest und was nicht.» Ihr akzeptiert das Kind in seiner Ganzheit. Ihr gebt Impulse und zeigt auf, was es machen KÖNNTE, wenn es mag. Aber das Kind entscheidet.

Ihr gebt einen geschützten Raum vor in dem das Kind Kind sein kann. Das ist ganz wichtig. So gewinnt es Sicherheit, spielt dann vielleicht mit einem anderen Kind und taucht ein in die Fantasiewelt. Dort kann es selber gestalten und auch mal vergessen. Auch das sind wichtige Verarbeitungsmechanismen.

Dadurch, dass ihr Kinder ernst nehmt, erfährt ein geflüchtetes Kind auch wieder, dass Erwachsene seine Grenzen respektieren und dass es Erwachsenen vertrauen kann. Kinder brauchen diese Sicherheit. Gerade geflüchtete Kinder aus Kriegsgebieten haben ja auf der Flucht gelernt, dass es die Erwachsenen sind, denen man nicht vertrauen kann. Und die eigenen Bezugspersonen sind oft selber so belastet, dass sie dem Kind keine Sicherheit vermitteln können. In einem fremden Land, einer völlig fremden Welt schon gar nicht. Deshalb sind betreute Spielplätze und Kindertreffs so wichtig. Hier finden Kinder einfacher zurück in die Normalität und in die Kinderwelt. Das vermittelt Sicherheit.

Wie wichtig sind die Peers?
Spielen mit anderen Kindern ist zentral. Kinder orientieren sich an Bezugspersonen und Bezugsgruppen. Wenn es denen gut geht, geht es auch dem Kind gut. Beim Spielen sind Kinder in einem positiven Umfeld und das tut gut. Sie müssen auch Regeln verhandeln und Kompromisse schmieden. Das machen sie spielerisch und so schöpfen sie Vertrauen.

Hat Spielen präventive Wirkung?
Ja, klar. Spielen können macht Kinder glücklich und zufrieden. Glücklich und zufrieden sein ist ein protektiver Faktor. Spielen ist für die menschliche Entwicklung wichtig. Kinder lernen sich dadurch selber kennen, üben soziale Situationen ein, entwickeln Selbstvertrauen. Das sind wichtige Komponenten von Resilienz.




Till Schnittfeld
ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Schwerpunkt Forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie FMH. Seit 2018 betreibt er in Bern eine eigene Praxis für Psychotherapie und Forensik (pf-bern.ch).
Der DOK im TUV
Seit Dezember 2022 halten sich gut 80 Kinder in der Temporären Flüchtlingsunterkunft Viererfeld (TUV) auf. Ein DOK-Team ist seither zwei Mal pro Woche im TUV und bietet den Kindern betreute Spielnachmittage an. Zwei Mal pro Monat lädt das Team Länggass die Kinder des TUV ausserdem auf den Spielplatz Studerstein ein.